Der Rehaprozess sowie die Operationstechniken nach einer (vorderen) Kreuzbandverletzung haben sich in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt und verbessert. Dennoch sind die Zahlen der erneuten Verletzungen oder der Anteil der Personen, die nicht auf ein vorheriges Niveau zurückkommen (gerade bei jungen Sportlern*innen) zu gering und nicht akzeptabel [1,2,3,4]. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen ist ein guter Rehaprozess mit einer gut geplanten langfristigen Struktur und einer detaillierten und sinnigen RTS-Testbatterie am Ende sehr wertvoll, um die Sportler*innen bestmöglich auf ein leistungsfähiges und stabiles Niveau wieder zurückzubringen.

Heutzutage werden hierfür immer mehr neue Aspekte wie die psychische Bereitschaft oder die Angst vor Bewegung allgemein oder bezüglich der Ausübung der individuellen Sportart bzw. des Wettkampes immer wichtiger und mehr wertgeschätzt [5,6]. Dies fügt den reinen Kraft- und Beweglichkeitstests in alten RTS-Batterien weitere Nuancen hinzu und verändert den Ablauf der Rehabilitation weiter. Zusätzliche Aspekte wie die des sozialen Umfeldes und weiterer Umweltfaktoren sind ebenfalls wichtiger geworden. Jedoch können diese im Therapieprozess eher nicht direkt beeinflusst werden. Daher werden diese in diesem Artikel nicht weiter besprochen.

Zusätzlich zu diesen Weiterentwicklungen wird die Frage der Zeit bis zur Rückkehr in den Sport kritischer diskutiert und im selben Moment wird eine sehr sportartspezifische Vorbereitung als immer wichtiger angesehen [8,9,12]. Eine solche spezifische Vorbereitung braucht oftmals einiges an Zeit sprengt daher jedoch leider meist den zeitlichen und logistischen Rahmen eines typischen Rehaprozesses in der Physiotherapie (in house rehab). Die volle Sicherheit auf dem Platz wiederzufinden, stellt aber gerade für die Sportler*innen, der/die die Sportart wieder voll aufnehmen möchte, einen ausschlaggebenden Faktor dar. Aspekte, die im sportartspezifischen Kontext eine Rolle spielen könnten, sind unter anderem das jeweilige Schuhwerk, der Untergrund, ein möglicher Gegnerkontakt als Störgröße in einer Bewegung oder die Ermüdung und die allgemeine Ablenkung durch äußere Faktoren sowie mögliche Zusatzobjekte, die bewegt werden müssen. Diese Situationen zu testen und zu üben ist oft in der reinen Physiotherapie nicht möglich und die Sportler*innen werden für solche Aufgaben oftmals nur mit eigenständigen Aufgaben für daheim versorgt. Doch gerade eine weitere Betreuung und Unterstützung in genau dieser Phase wenn wieder mehr Varianz und Dynamik passieren soll kann für viele Sportler*innen ganz wichtig sein, um sich unter anderem sicher und vorbereitet zu fühlen.

In einer Arbeit von Gokeler et al. [7] wird die allgemeine Situation des RTS genauer betrachtet. Die Autoren*innen stellen hierin 10 Punkte dar, die besonders interessant für eine erfolgreiche Rückkehr in den Sport mit zusätzlich geringem Rezidivrisiko sein könnten. Punkte, die hier genannt werden, sind u.a. eine individuell gestaltete OP, eine

Reha mit sensorischen und kognitiven Herausforderungen und eben sportartspez. Belastungen.

Die meisten aktuellen Testbatterien und Rehaprozesse im RTS-Kontext lassen jedoch gerade bei diesen letzteren Faktoren zu wünschen übrig und können damit eventuell die komplexen Belastungen und Anforderungen bspw. auf unvorhersehbare Aktionen zu reagieren, nicht voll abbilden. Somit werden die Sportler*innen eventuell nicht bestmöglich auf die Rückkehr zum Sport vorbereitet, was ein Grund für die höheren rezidiven Verletzungsraten sein kann. Genau an dieser Stelle kann die sogenannte On-Field Rehabilitation (OFR) zu tragen kommen und diese wichtige Lücke im Genesungsprozess schließen.

Einfach beschrieben stellt die OFR ein Training dar, das genau die Lücke zwischen Physio (indoor) und voll intensivem Teamtraining (outdoor) schließt [8,9]. Im Folgenden soll dieses Konzept etwas näher vorgestellt und beispielhaft erläutert werden.

Die Idee der OFR wurde 2012 von Della Villa [10] erstmals beschrieben bzw. erwähnt. Die OFR begann hier bei 50 Fußballern nach circa 90 Tagen Post-OP und führte zu einer Verbesserung des KOOS-Fragebogen, der Kraftleistung der Beine sowie der Ausdauer. Im OFR-Prozess werden meist 5 Phasen durchlaufen, die die Athleten*innen auf immer höhere und typischere Situationen (bspw. mit Gegnerkontakt, reaktiv etc.) vorbereiten. Diese Anforderungen sind sowohl physischer/mechanischer als auch (neuro)kognitiver Natur.

Ein großer Fokus liegt dabei auf der Planung und Progression von variablen Anforderungen/Bewegungsmustern und der Belastung, die durch diese auf die Sportler*innen wirken [11].

Ein solches OFR-Programm erfordert jedoch bereits ein gutes Maß an Kraft, Bewegungsqualität und Beweglichkeit und es sollten folgenden Kriterien vorab erfüllt sein, dass eine OFR gestartet werden kann:

  • ✓ Kein Knieschmerz und keine Schwellung
  • ✓ kein subjektives Instabilitätsgefühl
  • ✓ negativer knee laxity test
  • ✓ mindestens 80% Kraftsymmetrie (Streckung & Beugung)
  • ✓ gute Bewegungsqualität in Basisbewegungen
  • ✓ genügend Ausdauer (ca. 10min bei 8km/h).

Am Beispiel des Fußballspiels bzw. des RTS dorthin sollen die 5 Phasen einer OFR hier in Kürze dargestellt werden (orientiert an [9]).

Phase 1: ist geprägt durch den Beginn von linearen Bewegungen auf dem Feld. Das primäre Ziel ist es die Intensität (=Bewegungsgeschw.) zu steigern, während die Bewegungsqualität (=Ausführung) hoch bleibt. Dies wird anfangs ohne Ball und ohne Gegenspieler*in (höhere Varianz/Risiko) durchgeführt. Diese Bewegungen können ebenfalls lateral stattfinden und werden vorerst bei einer Geschwindigkeit ausgeführt, die der Betroffene selbst wählt (Shared decision).

Phase 2: zeichnet sich durch den Beginn von multidirektionalen Bewegungsmustern aus. Nun gilt es beispielsweise Figure 8 Läufe oder Kurvenläufe sowie intensivere Brems- und Beschleunigungsbewegungen durchzuführen. Die Muster und Übungen aus Phase 1 können/sollten nun mit nahezu maximaler Geschw. durchgeführt werden können.

Phase 3: stellt die nächste Stufe dar und zeichnet sich vor allem durch sportartspezifischere und Übungen mit Reaktionskomponente (Ball, Partner) aus. Vorherige Aufgaben dürfen nun komplexer werden und die allgemeinen Umfänge sollen ebenfalls steigen, um dem Pensum einer vollen Trainingseinheit näher zu kommen.

Phase 4: ist der Zeitpunkt an dem nun ein nahezu voller Gegnerkontakt (1:1 bei ca. 85%) wieder eingeführt werden kann und ebenso werden die komplexeren multidirektionalen Muster mit fast max. Geschwindigkeiten geübt. Die allgemeinen Belastungen auch im Athletiktraining sollten nun sehr intensiv und mit relativ sportartspez. vollen Umfängen stattfinden (>5km Gesamtstrecke, Sprintdistanzen von ca. 300m in Summe, 20Min Dauerbelastung über 85% HFmax).

Phase 5: beschreibt die finale Phase, in der u.a. volle Trainingsbelastungen und -umfänge dargestellt und mit sowie ohne Vorermüdung geübt wird. Das Ziel ist es hier so gut wie möglich an ein normales Training darzustellen und dies nahezu ohne Restriktionen/Einschränkungen was Richtungen, Intensitäten oder Gegnerkontakt etc. angeht.

*alle Phasen sind individuell mit den Sportlern*innen zu planen und zu steigern.

  • – Bewegungsqualität stabil halten (in unvorhergesehenen Situationen)
    (Körperlage im Raum, Kniewinkel/-valgus, Hüftbewegung etc.)
  • – Physische Kondition sowohl aerob als auch anaerob
    (spez. Anforderungsprofile der Sportart wichtig)
  • – Sportartspez. Skills und Technik wiedererlernen
    (techn. und taktisch mit komplexeren Optionen, individuell oder Kleingruppe, mit und ohne Gegnerdruck, Reflexion des Geübten)
  • – Typisches Trainingspensum akkumulieren
    (Umfänge und Intensitäten, acute-on-chronic-workload ratio beachten)

Dies sind entscheidende Faktoren, die im späteren Reha- bzw. RTS-Prozess für die weitere Entwicklung bestimmend sind. Um die Athleten*innen noch besser auf einen Wettkampf mit unvorhersehbaren Situationen vorzubereiten sollten hier wie oberhalb angeführt mit sukzessiv steigenden Unsicherheiten bzw. unsichereren Situationen trainiert werden.

Im spezifischen Beispielfall des Fußballs können und sollten unter anderem gerade dann sauber durchgeführte Bremsbewegungen [13,16] und Richtungswechsel (CoD) [14] auf dem Platz mit geübt werden, da dies essenzielle Situationen sind, da in diesen Situationen extrem große Kräfte wirken können [11]. Diese Belastungen von Seiten des Umfangs, der Intensität und Technik gut zu beherrschen ist eine essenzielle und wichtige Basis, um den finalen Schritt der Return to competition (RTC) vorzubereiten.

Ein mögliches Modell, um diese Aufgaben zu steigern ist 2022 vorgestellt worden [12].

Nachbildung Grafik 2 von Gokeler

Als letzter Schritt am Ende eines RTS-Prozesses steht jedoch immer eine gut durchdachte RTS-Testbatterie, die durch den sinnvollen Einsatz von Fragebögen (KOOS, RSI, o.ä.) ergänzt wird. Erst wenn die Athleten*innen diesen Prozess gut und mit eigener Sicherheit und Zuversicht durchlaufen haben und das Ergebnis der finalen Testung zufriedenstellend ausgefallen ist, sollten die Athleten*innen voll in das jeweilige sportartspez. Training und den Wettkampf einsteigen.

[1] Ardern CL, Taylor NF, Feller JA, Webster KE (2014) Fifty-five per cent return to competitive sport following anterior cruciate ligament reconstruction surgery: an updated systematic review and meta-analysis including aspects of physical functioning and contextual factors. Br J Sports Med 48:1543–1552

[2] Paterno MV, Rauh MJ, Schmitt LC, Ford KR, Hewett TE (2012) Incidence of Contralateral and Ipsilateral Anterior Cruciate Ligament (ACL) Injury After Primary ACL Reconstruction and Return to Sport. Clin J Sport Med 22:116–121

[3] Webster KE, Feller JA (2016) Exploring the High Reinjury Rate in Younger Patients Undergoing Anterior Cruciate Ligament Reconstruction. Am J Sport Med 44:2827–2832

[4] Webster KE, Hewett TE, Feller JA (2021) Anterior Cruciate Ligament Injuries in Australian Rules Football: Incidence, Prevention and Return to Play Outcomes. Open Access J Sport Med 12:33–41

[5] Ardern CL, Taylor NF, Feller JA, Whitehead TS, Webster KE (2013) Psychological responses matter in returning to preinjury level of sport after anterior cruciate ligament reconstruction surgery. Am J Sport Med 41:1549–1558

[6] Truong LK, Mosewich AD, Holt CJ, Le CY, Miciak M, Whittaker JL (2020) Psychological, social and contextual factors across recovery stages following a sport-related knee injury: a scoping review. Br J Sports Med 54:1149–1156

[7] Gokeler A, Grassi A, Hoogeslag R, et al. Return to sports after ACL injury 5 years from now: 10 things we must do [published correction appears in J Exp Orthop. 2022 Nov 17;9(1):111. doi: 10.1186/s40634-022-00548-x]. J Exp Orthop. 2022;9(1):73. Published 2022 Jul 30. doi:10.1186/s40634-022-00514-7

[8] Buckthorpe M, Della Villa F, Della Villa S, Roi GS (2019) On-field Rehabilitation Part 1: 4 Pillars of High-Quality On-field Rehabilitation Are Restoring Movement Quality, Physical Conditioning, Restoring Sport-Specific Skills, and Progressively Developing Chronic Training Load. J Orthop Sport Phys Ther 49:1–5

[9] Buckthorpe M, Della Villa F, Della Villa S, Roi GS (2019) On-field Rehabilitation Part 2: A 5-Stage Program for the Soccer Player Focused on Linear Movements, Multidirectional Movements, Soccer-Specific Skills, Soccer-Specific Movements, and Modified Practice. J Orthop Sport Phys Ther 49:1–6

[10] Della Villa S, Boldrini L, Ricci M, et al. Clinical Outcomes and Return-to-Sports Participation of 50 Soccer Players After Anterior Cruciate Ligament Reconstruction Through a Sport-Specific Rehabilitation Protocol. Sports Health. 2012;4(1):17-24. doi:10.1177/1941738111417564

[11] Vanrenterghem J, Venables E, Pataky T, Robinson MA. The effect of running speed on knee mechanical loading in females during side cutting. J Biomech. 2012;45:2444-2449. https://doi. org/10.1016/j.jbiomech.2012.06.029

[12] Gokeler A, McKeon PO, Hoch MC (2020) Shaping the Functional Task Environment in Sports Injury Rehabilitation: A Framework to Integrate Perceptual-Cognitive Training in Rehabilitation. Athl Train Sport Heal Care 12:283–292

[13] Blanch P, Gabbett TJ. Has the athlete trained enough to return to play safely? The acute:chronic workload ratio permits clinicians to quantify a player’s risk of subsequent injury. Br J Sports Med. 2016;50:471-475. https://doi. org/10.1136/bjsports-2015-095445

[14] Gabbett TJ. The training–injury prevention paradox: should athletes be training smarter and harder? Br J Sports Med. 2016;50:273-280. https://doi.org/10.1136/bjsports-2015-095788

[15] Buckthorpe M, Frizziero A, Roi GS. Br J Sports Med Epub ahead of print: doi:10.1136/bjsports-2018-099341

[16] McBurnie AJ, Harper DJ, Jones PA, Dos’Santos T. Deceleration Training in Team Sports: Another Potential ‚Vaccine‘ for Sports-Related Injury?. Sports Med. 2022;52(1):1-12. doi:10.1007/s40279-021-01583-x

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